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Viele Geflüchtete bringen Fähigkeiten mit, die es ihnen ermöglichen würden, ihr Geld mit selbständiger Arbeit zu verdienen. Interkulturelle Kompetenz zum Beispiel in kulinarischen Zusammenhängen, Kenntnisse über hierzulande begehrte aber rare Waren, soziologisches und sprachliches Wissen, künstlerische, technische oder handwerkliche Fertigkeiten … Doch am Anfang eines erfolgreichen Starts in die Selbständigkeit steht neben einer guten Geschäftsidee bekanntlich der Finanzierungsbedarf. Und gerade der stellt aus Sicht der meisten Geflüchteten eine hohe Hürde dar.
Dieser Beitrag zeigt drei Wege auf, wie Geflüchtete die Finanzierung ihrer Selbständigkeit bewerkstelligen können. Er beleuchtet außerdem anhand von Praxisbeispielen, wer ihnen auf diesen Wegen hilft und worauf sie bei einer Gründung generell achten sollten.
Grundsätzliches zur Gründung
Das Wirtschaftssystem und die Gesetze der Bundesrepublik geben grundsätzlich jeder volljährigen Person mit ständigem Wohnsitz in Deutschland die Freiheit, sich selbständig zu machen. Das gilt auch für geflüchtete Frauen und Männer, sobald ihr Flüchtlingsstatus anerkannt ist. Ob die zugehörige Aufenthaltserlaubnis befristet ist, spielt dabei keine Rolle.
In der Praxis zeigt sich jedoch: Gerade der Umstand einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung erschwert Geflüchteten die Finanzierung einer Existenzgründung. Denn von Banken vergebene Kredite in den für eine Geschäftseröffnung nötigen Dimensionen laufen meist über mindestens fünf, häufiger über zehn bis 15 Jahre. Viele etwa aus Syrien hierhergekommene Menschen dürfen aber, zumindest der Papierlage nach, zunächst nur für drei Jahre bleiben.
Hürden auf dem Weg zur Finanzierung: Aufenthaltsgenehmigung und Existenzgründungskonzept
Eine weitere Hürde: Keine deutsche Bank verleiht Kapital an Existenzgründer ohne ein betriebswirtschaftlich und inhaltlich überzeugendes Existenzgründungskonzept. Mit der Erstellung desselben sind Geflüchtete aufgrund sprachlicher Barrieren alleine aber oft überfordert. Zudem verfügen sie zumeist nicht über das nötige Grundwissen zu den in einigen Branchen nötigen Qualifikationen oder zu beachtenden besonderen Vorschriften.
Auch bei der anderen Variante auf dem Weg zur Finanzierung der Selbständigkeit – der Förderung durch öffentliche Mittel – ist die Situation nicht unbedingt besser. Zwar existieren mit dem Gründungszuschuss und dem Einstiegsgeld Instrumente, die auch Geflüchtete zum Übergang aus dem Arbeitslosengeld-I- oder Arbeitslosengeld-II-Bezug in die Selbständigkeit nutzen können. Sie kommen allerdings vergleichsweise selten in den Genuss solcher Zuwendungen. Denn hier wird ebenfalls ein qualifiziertes Gründungskonzept verlangt.
Darüber hinaus scheitern Förderanträge von Geflüchteten zu einem großen Anteil schon in der Vorbereitungsphase an der Vermeidungsstrategie der Jobcenter, die eher daran interessiert sind, ihre Klienten in den Arbeitsmarkt zu vermitteln.
Die zentrale Frage: Wie kann eine Finanzierung überhaupt zustande kommen?
Diese und andere Faktoren führen dazu, dass die meisten Geflüchteten, die sich selbständig machen wollen und dabei auch realistische Aussichten auf wirtschaftlichen Erfolg hätten, weder am öffentlich-rechtlichen und privaten Bankenmarkt, noch bei den staatlichen Förderstellen mit den dazu nötigen Kredit- bzw. Fördermitteln ohne weiteres bedient werden.
Die zentrale Frage lautet also: Wie kann unter solchen Umständen überhaupt eine erfolgreiche Finanzierung zustande kommen? Die folgenden Absätze stellen drei beispielhafte Wege dar, auf denen das funktionieren kann.
1) Der Weg über Bank, Berater und Bürgen
Dieser Weg ist vor allem empfehlenswert, wenn bereits erweiterte Sprachkenntnisse sowie ein soziales Netzwerk mit Integration in bürgerliche Kreise bestehen. Das Ziel: Die Existenzgründung ganz klassisch über einen Bankkredit finanzieren.
Zur Erreichung des Ziels ist eine enge Begleitung und kompetente Beratung durch eine in wirtschaftlichen Zusammenhängen versierte, schon lange in Deutschland lebende Person unverzichtbar. Diese sollte den Gründer sowohl bei der Formulierung und Erstellung des Existenzgründungskonzeptes, als auch bei der Recherche nach vergünstigten Förderdarlehen und weiteren Möglichkeiten staatlicher Förderung unterstützen.
Ebenfalls unverzichtbar: Ein Bürge mit deutscher Staatsbürgerschaft und ausreichender Bonität, welcher der Bank gegenüber erklärt, für die Verbindlichkeiten einstehen zu wollen, falls der Gründer die Ablösung des Kredits nicht länger gewährleisten kann. Durch den Bürgen verliert eine befristete Aufenthaltsgenehmigung an Bedeutung und wird von der Bank nicht mehr als formaler Hinderungsgrund für die Kreditvergabe betrachtet.
Praxisbeispiel: Liyah, 29 – Senkrechtstart im Nail-Business
Liyah ist 2017 hier angekommen, ihr Status als Geflüchtete wurde Anfang 2018 anerkannt. Sie hat in Syrien Kosmetikerin gelernt und sich vor dem Krieg in Damaskus als Spezialistin für Nail-Design einen kleinen Namen gemacht. Seit sie endlich eine eigene Wohnung beziehen und einen Job als Verkäuferin in einer Drogerie finden konnte, träumt sie davon, erneut an diese vergangenen Erfolge der Selbständigkeit anzuknüpfen.
Mit der Zeit hat sie sich einen kleinen Freundeskreis erschlossen. Vor allem Britta und Klaus, einem Ehepaar aus der Nachbarschaft, ist sie herzlich zugetan und erzählt beiden öfter von ihren geschäftlichen Visionen. Sowie von deren Aussichtslosigkeit.
Weil Britta und Klaus aus eigener Anschauung wissen, wie geschickt und begabt Liyah in ihrer Profession ist, schlagen sie ihr nach reiflicher Überlegung vor, sie auf dem Weg zu ihrem eigenen kleinen Nagelstudio zu unterstützen. Indem sie für einen Bankkredit bürgen und ihr auch ansonsten helfen.
Unter der Federführung von Klaus, dem studierten Betriebswirtschaftler, entwickeln die drei gemeinsam ein originelles und exakt kalkuliertes Gründungskonzept. Ein Steuerberater begutachtet das Papier und gibt einige weitere Hinweise zu Förderperspektiven und geeigneten Banken.
Als Liyah schließlich den unterschriebenen Kreditvertrag in ihren Händen hält und fast zeitgleich der Makler anruft, den sie mit der Suche nach einem geeigneten Ladenlokal beauftragt hat, lächelt sie auf eine Weise, auf die sie schon sehr lange nicht mehr gelächelt hat.
2) Der Weg über Jobcenter, Berater und Hartnäckigkeit
Ein Großteil der zurzeit in Deutschland lebenden Geflüchteten ist noch nicht in fester Beschäftigung, sondern erhält die allgemein auch als „Hartz IV“ bezeichnete Grundsicherung. Wer sich aus dieser Situation heraus selbständig machen möchte, kann dabei eine Förderung durch das Jobcenter beantragen, das sogenannte Einstiegsgeld.
Auch wer bereits länger in Deutschland gearbeitet hat und deshalb Arbeitslosengeld I erhält, wird unter bestimmten Umständen beim Start in die Selbständigkeit vom Jobcenter gefördert. In diesem Fall mit dem sogenannten Gründungszuschuss.
In beiden Fällen können Gründer bis zu anderthalb, bzw. bis zu zwei Jahre monatliche Zuschüsse zur Absicherung ihres Lebensunterhaltes und ihrer Sozialversicherung erhalten. Bei Bezug von Einstiegsgeld ist es darüber hinaus möglich, bis zu 5.000 Euro Unterstützung für die Beschaffung von zur Ausübung der selbständigen Profession notwendigen Sachgütern zu beantragen.
Genau wie bei der Bank muss hier jedoch ein professionelles Existenzgründungskonzept vorliegen, das zudem von einer kundigen Stelle als plausibel und marktfähig testiert wurde. Eine weitere Herausforderung: In den Jobcentern werden zwar durchaus auch Förderungen bewilligt. Oft aber nur gegen erhebliche Widerstände und für viel kürzere Zeiträume als möglich.
Schlimmer noch: Vom Mittel des Zuschusses für die Beschaffung von Sachgütern wissen viele der dortigen Sachbearbeiter dem Vernehmen nach nicht einmal.
Es empfiehlt sich für den Gründer also auch auf diesem Weg, sich sprachlich, ökonomisch und behördlich versierten Beistand zu suchen, der ihm nicht nur Unterstützung beim Verfassen des Gründungskonzeptes bietet. Sondern außerdem beim Ringen mit dem Jobcenter um eine möglichst lange Förderungsdauer hilft.
Praxisbeispiel: Hamed, 34 – Auftakt zum Erfolgs-Solo
Hamed musste 2014 Georgien verlassen und hat, seit er in Deutschland lebt, immer mal wieder gejobbt. Zur Zeit ist er seit längerem arbeitslos und bezieht Arbeitslosengeld II. Er möchte nun gerne wieder das tun, was er bereits in Tiflis einige Jahre lang mit Erfolg gemacht hat: In Bars, Geschäften, Restaurants und auf privaten Feiern Klavier spielen.
Hamed hat auch schon den Markt seiner Großstadt recherchiert und durch eine kleine Telefonumfrage positiv die Nachfrage für eine solche Dienstleistung eruiert. Und er kann, da er kein eigenes Klavier hat, fünfmal wöchentlich in der Aula eines nahen Gymnasiums mehrere Stunden üben, um sich ein Repertoire anzueignen. Also bringt er sein Anliegen im Jobcenter vor.
Zunächst schmettert man ihn dort ab. Weil er nicht klein beigibt, fordert man als nächstes, er müsse seine Qualifikation als Pianist nachweisen, wolle er sich als solcher gefördert selbständig machen. Das kann Hamed nicht. Zwar hat er vier Semester am Staatlichen Konservatorium studiert, das Studium jedoch nicht zu Ende gebracht. Berufsmusiker ist er aber nun einmal trotzdem lange genug gewesen.
Das Jobcenter winkt ab. Frustriert will Hamed schon aufgeben, als eine Freundin ihn auf eine Beratungsstelle aufmerksam macht, die Gründer mit Migrationshintergrund gezielt unterstützt.
Danach geht es Schritt für Schritt. Hamed bekommt Unterstützung beim Erstellen seines Existenzgründungskonzeptes und einen Zuschuss für die bei dessen Testierung anfallenden Gebühren. Außerdem rät man ihm, in Tiflis nach Belegen für seine einstige Tätigkeit suchen zu lassen. Was aber gar nicht nötig ist, denn seine Mutter hat wie sich herausstellt ein ganzes Album mit alten Fotos, mit Zeitungsausschnitten und Ankündigungen in ihrer Kommodenschublade.
Begleitet durch kompetente Beratung und Hilfe bei Korrespondenz und Antragstellung gelingt es Hamed, die volle Förderlänge auszuschöpfen. Darüber hinaus bekommt er neben seiner frischgebackenen Freiberuflichkeit samt Visitenkarten, Website und ersten Engagements noch einen weiteren Herzenswunsch erfüllt: Das Jobcenter bewilligt nach zähen Briefwechseln am Ende die komplette Übernahme der Kosten für die Anschaffung eines eigenen Klaviers.
3) Der Weg über Familie, Verbindungen und Gemeinschaften
Geflüchtete haben vor dem Ankommen in Deutschland oft in Ländern gelebt, in denen das Prinzip der Subsidiarität eine größere Rolle spielt als hier. Insbesondere in islamisch geprägten Staaten ist es zum Teil völlig normal, dass familiäre und nachbarschaftliche Strukturen Aufgabenbereiche gänzlich oder teilweise übernehmen, die hierzulande staatlichen Einrichtungen oder offiziell akkreditierten Institutionen wie Banken vorbehalten sind.
Geflüchtete, die eine Selbständigkeit planen und über einen starken familiären Background im In- und Ausland verfügen, finden Investoren und Unterstützung deshalb unter Umständen relativ leicht in den eigenen Kreisen.
Auf familiärer Ebene sind Kriterien wie ein geschliffen formuliertes, mehrseitiges Existenzgründungskonzept meist eher überflüssig. Die für den Investoren oder Kreditgeber interessanten Aspekte können zur Not am Küchentisch besprochen, die wirtschaftlichen Eckdaten auf einem Zettel festgehalten werden.
Denkbar ist, falls es keine einzelnen vermögenden Ansprechpartner gibt, in diesem Zusammenhang auch so etwas wie ein familiäres Crowdfunding, bei dem alle Mitglieder einer weitverzweigten Verwandtschaft einen ihren Möglichkeiten angemessenen Geschäftsanteil als Leihgabe oder dauerhafte Einlage zeichnen.
Praxisbeispiel: Mahmoud, 48 – Aufstieg durch Einstieg in den Import
Mahmoud ist 2019 seiner schon drei Jahre zuvor eingereisten Frau und ihren gemeinsamen Kindern aus dem Irak hierher gefolgt. Er arbeitet in der Küche eines großen Restaurants in seiner Stadt. Der gesellige und charmante Kaufmann lernt von den Kollegen mehr deutsch als in seinen Kursen. Der Chefkoch lässt sich gerne irakische Gerichte von ihm zeigen, wenn einmal nichts zu tun ist.
Was Mahmoud nicht versteht: Warum die in der Restaurantküche verwendeten Gewürze und Gewürzmischungen von so minderer Qualität sind.
Er informiert sich und erfährt, dass viele bürgerliche Restaurants diesem Punkt bisher kaum Beachtung schenken, aber wie auch sein Chef offen für Verbesserungen sind.
Schließlich hat Mahmoud eine Idee: Gewürze von hoher Qualität zu niedrigen Preisen aus dem Irak importieren, speziell für die Gastronomie labeln und zunächst regional vermarkten. Er erzählt seiner Frau und seiner Mutter davon. Mehr muss er nicht tun, damit es wenig später die halbe Ummah weiß.
Sein Schwager tüftelt bereits Einkaufsquellen und Transportwege aus, seine Tochter sitzt am Rechner und studiert im Internet Einfuhr- und Handelsbestimmungen und der in Brüssel lebende Onkel ist fast beleidigt, weil Mahmoud ihn erst zwei Tage später anruft, er hätte sich schon gefragt, ob seine finanzielle Hilfe nicht willkommen sei.
Nach dem Freitagsgebet in der Moschee treten zudem zwei ältere Herren aus der Gemeinde mit dem Angebot einer geeigneten Räumlichkeit zu moderater Miete und mit dem Anliegen einer kleinen Investition in sein Geschäftsvorhaben an Mahmoud heran. Der sieht seine Idee nun schneller wahr werden, als er zu hoffen wagte.
Die befristete Aufenthaltsgenehmigung: Hinderungsgrund für die Selbständigkeit?
Geflüchtete verfügen meist nur über eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Oft sind sie daher trotz gelöster Finanzierung, guter Ideen und Marktaussichten skeptisch im Hinblick auf eine Existenzgründung in Deutschland.
Die Frage, die sie sich stellen: Was, wenn ich hier wieder fortziehen muss, weil mein Aufenthaltstitel nicht verlängert wird? Dann muss ich doch mein Geschäft aufgeben.
So verständlich diese Angst ist, so unbegründet ist sie. Denn wer es als Geflüchteter schafft, sich in Deutschland eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen und dauerhaft ohne den Bezug staatlicher Transferleistungen zu leben, arbeitet dadurch ganz automatisch auch an der reibungslosen Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung bzw. seiner auf Dauer absehbaren Einbürgerung.
Dafür spricht die seit vielen Jahren gängige Verfahrenspraxis in diesem Bereich ebenso wie der Umstand, dass die Bundesregierung 2018 den von ihr maßgeblich mitgestalteten UN Global compact for migration unterzeichnet hat. Dieser zielt unter anderem ausdrücklich darauf ab, Geflüchteten bzw. ganz allgemein Migranten durch stabile Bleibeperspektiven im Aufnahmeland tatsächliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.
Ansprechpartner für steuerliche und weitere gesetzliche Aspekte der Gründung
Es klang in diesem Beitrag bereits öfter an: Ein Beratungstermin bei einem Steuerberater ist im Vorfeld einer Gründung unerlässlich. Denn Steuerberater wissen nicht nur, welche Meldepflichten und steuerrechtlichen Konsequenzen sich für den Gründer ergeben oder wie man die Finanzierung steuerlich am besten darstellt.
Sie verfügen außerdem über weitreichende Kenntnisse in Fragen der zu wählenden Rechtsform sowie über Wissen zu branchenspezifischen Auflagen, zum Beispiel die für die Eröffnung bestimmter Betriebsarten nötigen Qualifikationen oder Genehmigungen.
Ebenfalls wichtige Ansprechpartner: Die Industrie- und Handelskammern, die heute bereits zu einem großen Teil besondere Beratungsprogramme für Geflüchtete in der Phase der Existenzgründung anbieten. In vielen Städten gibt es zudem Wohlfahrtsträger, die aus dem Sozialleistungsbezug in die Selbständigkeit durchstartende Migranten intensiv betreuen.